Intro 03.2003 - Sandra Grether

Zwan Ausgetrunken

Warum muss ich zwanghaft immer alte Helden treffen? Ich verwünsche mich und mein sinnloses Begehren, während ich unbeschreiblich nervös dem Hotel-Zimmer entgegenstolpere, in dem Billy Corgan und Zwan heute ihre Interviews geben. Allein der Gedanke, dass der Mensch an seinen Enttäuschungen letztlich wächst, beruhigt mich ein wenig. Das passiert zwar nicht sofort, aber später, denke ich noch, während der Promoter die letzte Tür öffnet.

Sonne und ein bisschen Tee

Billy Corgan, Jimmy Chamberlain (Ex-Pumpkins), Paz Lenchantin (Ex-A-Perfect-Circle), David Pajo (Ex-Slint, Papa M) und Matt Sweeney (Ex-Chavez) sind bereits in ihrem ganz persönlichen "Später" angekommen und machen da einfach weiter. Das hört man dem verdammt guten Zwan-Debüt natürlich an. Alle dürfen alles einbringen, und das Spektrum ist gewaltig: dreifache Gitarrenbretter, verankert in einem fast schon psychedelischen Sound, der folkige Momente zulässt und Fragilität mit Rock/Metal so verbindet, als wär' es das Natürlichste von der Welt. Was nicht zuletzt dem groovigen Bass-Spiel von Paz Lenchantin zu verdanken ist. "Arena Folk Metal", schreibt eine amerikanische Zeitung, und das finde ich ziemlich treffsicher. Nach mehrmaligem Hören entwickelt sich jeder Song, trotz des komplizierten Aufbaus, zu einem echten Hit. Denn Corgans Texte und Melodien trotzen den Enttäuschungen mit Sonne, Liebe und Ehrlichkeit. Alles, was er will, singt er, ist: "Sunshine, sunshine, sunshine and some tea."

Ist es am Ende das, worum sich alles dreht in einem neuen Leben: das Staunen wieder zu erlernen, zuzusehen, wie sich der Himmel hellblau färbt?! Blödsinnig einfach und abscheulich schön?! Diese Fragen gehen mir durch den Kopf, während ich die CD mit dem romantischen Titel "Mary Star Of The Sea" immer und immer wieder höre: Wärme spüren in der natürlichen Schönheit. Aber es gibt keine Schönheit ohne Schmerz. "Don't be afraid of anyone who desires", singt Corgan dann auch in meinem Lieblingssong "Desire". Tja, das Kreuz mit der Leidenschaft! Und in "Settle Down" heißt es: "Whatever I can do I will, cos I'm good like that." Denn Billy Corgan wäre nicht Billy Corgan, würde er nicht immer noch mehr vom Leben erwarten als eine Tasse Tee, eingenommen im blendenden Licht der Sonne. (Nämlich alles!) "Optimismus ist meine Art zu kämpfen", wird er später sagen.

Baby, Let's Rock

Ach, es war eine Freude, Zwan live zu sehen: Wie jeder für sich und alle zusammen ihre Spielleidenschaft auslebten - und dabei voll überirdisch entspannt wirkten. Natürlich waren danach auch wieder die Nörgler/Neider am Start: "Was soll diese Band überhaupt?" - "Alles nur wegen der Kohle." - "Klingt ja wie die Pumpkins anno dazumal." - "Wer will schon 15-minütige Gitarrensoli hören?" Ich schon. Und was soll es immer sollen? Ein Song ist ein Song ist ein Song. Und entweder er berührt einen, oder er tut es nicht.

Das Erste, was ich wahrnehme, als ich den Interviewraum betrete, ist dann tatsächlich ein Tablett mit Tee-Kännchen. Und wie die erste Sonne in diesem Jahr total gigantisch hier alles durchflutet - man kommt sich vor wie in einem fernen Traum. Der Eindruck wird noch bestätigt durch den Anblick einer Band, deren Mitglieder sich gegenseitig den Rücken massieren. Aha, denke ich, Entspannung muss halt auch immer wieder neu hergestellt werden. Und: Na, wenn das mal keine Band-Demokratie ist! Sobald ich meine erste Frage stelle, die ich an alle richte und die Billy Corgan, wie selbstverständlich, für alle beantwortet, ist es aber aus mit Demokratie. Oder liegt es vielleicht nur daran, dass er der Einzige zu sein scheint, der Spaß am Reden hat? Wenn die anderen mal was sagen, dann nie mehr als einen Satz. Wenn Corgan spricht, dann blickt er - fast freundlich verzweifelt - immer auch seine Kollegen an, als gelte es, auf diesem Weg die ungleiche Kommunikation wieder auszugleichen.

Begierde

  • Gibt es bei euch noch so was wie kathartische Momente, wenn ihr auftretet?
    Corgan: Das ist irgendwie vorbei. Mit dem Musik-Machen ist es für mich wie mit einer Liebesbeziehung, aus der man nicht herauskommt, die man aber schon zu lange hat. Man versucht halt, immer wieder neue Spannung einzubauen.
  • Ist "Desire" ein Song über das Leiden am eigenen Begehren?
    C [lacht]: Ja. Wir begehren Dinge, die wir im Prinzip gar nicht brauchen. Und das macht einen kaputt, weil es oft sehr weh tut. Ich beneide Leute, denen es reicht, den ganzen Tag vorm Fernseher zu sitzen. Die nicht immer so viel wollen müssen.
  • Andere Songs versuchen die Dinge ja eher positiv zu sehen ...
    C: Nach dem 11. September hatte ich plötzlich das Bedürfnis, optimistischere Songs zu machen. Das ist natürlich ein Widerspruch in sich, aber nicht für mich. Bejahend sein, wenn alles düster ist, das ist meine ganz persönliche Art, gegen etwas anzusteuern.
  • Was ich an deinen Texten mag, ist, dass sie immer mehrere Ebenen haben.
    C [strahlt]: Wenn Leute ankommen und sagen: "Das und das ist echt ein tolles Liebeslied", dann sage ich oft: "Das ist nicht einfach ein Liebeslied, sondern auch ein Lied darüber, wie ich die Welt sehe und so." Texte, die nur eine Ebene haben, nutzen sich sehr schnell ab.
  • Erzählt doch mal, wie die Stücke insgesamt so entstanden sind. Es war ja überall zu lesen, wie geil ihr es findet, miteinander zu jammen. ...
    C [gelangweilt]: Das ist eine "Von Fall zu Fall"-Entscheidung. Jeder Song entsteht anders.
    Sweeney: Das sagen wir immer auf die Frage.
    C: so ist es. [Hm. Dann halt nicht. Sonst reden Musiker doch immer so gern darüber, wie sie ihre Stücke machen. Ausgerechnet Zwan also nicht. Interessant. Also wieder spezieller werden:]
  • Hast du die Melodie schon im Kopf, wenn du die Texte schreibst?
    C [sichtlich erleichtert]: Meistens ja. Das macht es auch einfacher, weil das schon so eine Art Satzmelodie vorgibt und der Text dann auch besser in den Song einzupassen ist.
  • Was sagt ihr Leuten, die sich fragen, warum es Zwan überhaupt gibt?
    C: Es ist uns echt egal, was die Leute denken. Wir müssen auch nicht mehr auf Teufel komm raus irgendwas erneuern. Wir wissen, dass wir "real" sind, und das ist das Wichtigste.

Nach dem Interview plaudern wir noch ein wenig über verschiedene Gitarren-Marken, das Pro und Contra von "Gretsch"-Gitarren und so. Meine anfängliche Nervosität kommt mir plötzlich vor wie ein Gespenst aus einer alten Nacht. Und das liegt ausnahmsweise nicht an der überraschenden Februar-Sonne, sondern an der unvermutet warmherzigen Art von Billy Corgan. Es ist ja nicht so, dass es nur die Enttäuschungen sind, die einen antreiben.